Foto: Tanja Dorendorf

Die mega gfürchige Frau Rottenmeier

Jungkritiker Gustavo kann nicht mehr hingucken: Ist die neue Heidi-Inszenierung für Kinder so schlimm?

So wirklich weiss Gustavo nicht, wer Heidi ist. Irgendein Bild des jungen Mädchens mit den Geissen und den Bergen hat der Sechsjährige schon mal gesehen, aber ihren Struggle kennt er nicht. Drum hält sich die Spannung vor Beginn der Premiere der neuen Kinderinszenierung des Theater Kanton Zürich – Theaterfassung Markus Steinwender, Regie Sophia Bodamer – arg in Grenzen. Die Gedanken kreisen noch um den Ferienhort und den Besuch einer Schoggifabrik am Vortag.

Und überhaupt, was ist das für ein komischer Raum hier mit den Orgelpfeifen und der hohen Decke? Und können wir nachher zu McDonald’s? Kritiker sind halt nicht immer gleich motiviert.

Sein Begleiter erklärt: Chicken Nuggets geht leider nicht. Die haben Lieferprobleme. Überall ausverkauft. Paniermehl-Skandal. War vorhin in den Nachrichten. Gibt nur Salat mit Paprika und Tomaten. Und wegen den Orgelpfeifen: Das ist nicht das richtige Theater hier, sondern ein Ausweichort, ein Kirchgemeindehaus, da das richtige Theater renoviert wird. Dafür hat die Strasse einen schönen Namen: Liebestrasse. «Wieso heisst die so?» – Die Antwort: «Tja, weil hier nur liebe Dinge passieren», bereue ich sofort wieder. Wie war das denn noch mit Heidi? Ein einziger Freudentanz?

Natürlich nicht, Sie erinnern sich: Die junge Heidi ist bereits Vollwaise und wird in die Berge abgeschoben, wo sie ein griesgrämiger alter Einsiedler erwartet. Auf den niemand, aber nun wirklich niemand gut zu sprechen ist. Verständlich, denn er ist tatsächlich ziemlich grummelig unterwegs und will erstmal gar nichts davon wissen, dass Heidi ab sofort bei ihm bleibt.

Gustavo windet sich vor Unwohlsein auf seinem Stuhl: ein unsympathischer Opa und ein Kind, das nicht weiss, wo es hingehört, versüssen keinem Scheidungskind den Mittwochabend. «Geh’n wir trotzdem zu McDonald’s und fragen einfach mal wegen den Nuggets? Vielleicht haben sie ja doch noch welche…» 

Die Nugget-Amnesie beginnt erst mit dem Geissenpeter. Der kommt frisch und fröhlich daher, biegt sich die Welt so zurecht, wie er es mag und trägt in der Schwyzerdütschen Kinderinszenierung das Liedgut auf der Zunge und eine Ukulele um den Hals. Den «Justin Bieber der Alpen», nennt er sich selbst. Eine Figur zum dran Festhalten.

Jetzt kann Gustavo geniessen. Schliesslich sorgen Heidi und der Peter dafür, dass es interaktiv und lustig wird. Und immer wieder gibt es witzige Details zu entdecken in diesem 3-Personen-Stück. Irgendwie hat Klara Seesemann Ähnlichkeiten mit dem Alpöhi. Und als dann dessen Geissen auftauchen, scheinen auch diese dieselbe stämmige Menschlichkeit in sich zu tragen. «Schau mal, man sieht die nackten Beine!» stellt Gustavo belustigt fest.

Seine Lieblingsszene ist ganz klar die, in der Peter so tut, als könne er lesen, aber das Buch verkehrt herum hält und irgendwas erfindet.

Unheimlich wird ihm bei der polternden Erzieherin Fräulein Rottenmeier und bei der Szene, in der Heidi nachtwandelt und den Vorhang des clever reduzierten Bühnenbilds wie einen Schleier über sich zieht. Da kann er dann ein paar Sekunden nicht mehr hinschauen.

Aber Rottenmeier hat nicht das letzte Wort, sondern Heidi, Peter und die Kinder im Publikum – und so kommt Heidi wieder in die Berge und die Kirche bleibt im Dorf. Und statt Nuggets wartet überraschenderweise ein Buffet auf den Kritiker. Drei Himbeer Gazosa und sieben Miniwürstli im Teig später sieht die Bilanz des Abends rundum rosig aus. Gustavo ist versöhnt mit dem Stück und will nur noch an Premierenparties. Minus Fräulein Rottenmeier: «Die war soooo streng!»

Klar: Mit sechs Jahren befindet er sich am unteren Rand des Altersspektrums. Aber dieses lustvoll reduzierte 3-Personen-Stück holt ihn dann doch ab. «Gäll, sie mag die Berge einfach lieber als die Stadt?» fragt er, als wir wieder auf der Liebestrasse sind.
 

«Heidi» wird noch bis am 4. März im Theater Winterthur und mindestens bis am 16. April an verschiedenen Spielstätten aufgeführt.

Weitere Informationen und Tickets unter https://theaterkantonzuerich.ch/web/stucke/24-25/heidi/

 

Heidi

Theater Winterthur

Heidi

Der weltberühmte Klassiker von Johanna Spyri wurde von Markus Steinwender charmant und mit viel Witz in eine Bühnenfassung umgeschrieben. Sophia ...

Trailer des Stücks

Von Adrian Schräder am 26. Februar 2025 veröffentlicht.

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