Er sagt | Sie sagt: Alternatives Kino-Erlebnis

Das Programmkino Cameo am Lagerplatz in Winterthur ist ein unabhängiges Kino, das sich der Vielfalt der Filmkultur im nichtkommerziellen Filmschaffen verpflichtet. Zu sehen sind Reprisenreihen der neueren und älteren Filmgeschichte, Filme aller Genres und aus allen Weltregionen wie auch aktuelle Arthouse-Premieren – immer in Originalversion mit deutschen Untertiteln. Die Filmveranstaltungen – teilweise in Kooperation mit anderen (Kultur-)Institutionen – ermöglichen eine engagierte Vermittlung von Filmkultur in verschiedenen Kontexten und für unterschiedliche Zielgruppen. 

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Er sagt:

Der Film «Women Make Film – A New Road Movie Through Cinema» nimmt den Mund ganz schön voll. Er verspricht nichts weniger, als die Geschichte des Kinos neu zu schreiben. Ein Monumentalwerk scheints. Monumental ist vor allem seine Länge: Vierzehn Stunden. Aus Gnade wurde der Film dann aber in vier Dreieinhalbstünder aufgeteilt. Sie alle sind über den Frühling 2022 verteilt im Kino Cameo zu sehen, wobei man sich auch einfach einen herauspicken kann – jeder Teil funktioniert für sich ohne den Kontext der Serie. Wir haben uns den ersten Teil angesehen.

Der Dokumentarfilm zeigt Ausschnitte aus allen Ecken und Enden der Filmgeschichte, wobei er jedoch eine wichtige Einschränkung vornimmt: Es werden nur Filme von Regisseurinnen berücksichtigt, die Männer müssen für einmal draussen bleiben. Darüber hinaus geht es aber erstaunlich wenig um Frauen. Vielmehr darf man eine leidenschaftliche Vertiefung in die Kunst des filmischen Erzählens erwarten. Wie beginnt man einen Film? Wie erzeugt man Stimmung? Wie filmt man Gespräche? Vierzig solche Fragen werden mit Einblicken in eine Auswahl liebevoll zusammengetragener, frauengemachter Filme beantwortet. Im ersten Teil haben wir gerade mal acht der vierzig Kapitel geschafft.

Vom Trailer her hatte ich erwartet, dass der Film darvon erzählen wird, wie schwierig es Frauen in diesem Metier gemacht wurde und wird oder welche subtilen Unterschiede feststellbar sind, wenn Frauen statt Männer Regie führen. Zumindest in Teil eins kommt jedoch noch nichts davon. Vielleicht ist es eine Erkenntnis des Films, dass es so etwas wie „weibliches Kino“ nicht gibt, mutmasst meine feministische Begleiterin zufrieden: Frauen sind einfach genauso viele und genauso verschieden wie Männer. Und daher ist die banale Erkenntnis, was rauskommt, wenn Frauen statt Männern Filme machen: Alles.

Mir gefällt diese Deutung ebenfalls und ich erwähne die über diese Mutmassung wohl hochempörte Laura Mulvey, ihre Theorie des „male gaze“ und den ganzen Karsumpel aus dem Filmwissenschaftsstudium lieber nicht.

Man muss sicher wissen, diese Filmreihe ist eine nerdy pleasure. Wie das Stöbern in einem Glossar. Mit dem schrägen, aber zugleich unterhaltenden Unterschied, dass dieses Glossar nicht gerade sparsam umgeht mit Pathos. Zwischendurch wünschte ich mir ehrlich gesagt schon, Tilda Swinton möge mal aufhören, mich vollzulabern. Aber eingefleischten Arthouse-Kino-Fans hüpft bei dieser Autofahrt durch die Filmwelt bestimmt das Herz.

Sie sagt:

Ich gebe zu: Am Anfang musste ich etwas durchbeissen. Regisseur Mark Cousins erklärt uns Kino. Der Titel der Filmreihe «Women Make Film: A New Road Movie Through Cinema» suggeriert, dass eine Auseinandersetzung mit dem Frausein stattfindet. Dies ist jedoch nicht der Fall: Das kolossale Filmprojekt erklärt in 40 (!) Kapiteln, was Film ausmacht und greift dabei, offenbar eher zufällig, auf Beispiele von weiblichen Filmschaffenden zurück.

Wer Herrn Cousins diesen kleinen Marketingtrick jedoch verzeiht, wird überrascht von unzähligen unbekannten Filmen und einer sehr übersichtlichen Aufstellung und theoretischen Aufarbeitung davon, was das Medium Film ausmacht. Noch nie habe ich darüber nachgedacht, wie ein*e Protagonist*in vorgestellt wird, dass die Stimmung eines Films Erwartungsmanagement betreibt (Horror-Vibe: Jemand stirbt; Hallmark-Vibe: Jemand verliebt sich) oder wie unterschiedlich sich zwei Figuren zum ersten Mal begegnen können.

Schnell wird klar: «Von einer Frau gemacht» sagt nichts aus über einen Film, «Frauenfilm» ist kein Genre. Da findet sich Gangsterstreifen neben Gesellschaftskritik, Liebesgeschichte neben Kunstfilm. Auf eine Gegenüberstellung von «typisch männlich» und «typisch weiblich» wartet man vergebens und so bleiben meinerseits einige Fragen unbeantwortet: Stellen Frauen und Männer Frauen und Männer unterschiedlich dar? Verschreiben sich Frauen anderen Themen als Männer? Legen sie einen anderen Fokus? Trotzdem ist es (ent)spannend einzutauchen in eine Welt, in der man für einmal nicht um seinen Platz kämpfen muss. Unglaublich, was Frauen so alles produziert haben, gerade auch in Zeiten, in denen das praktisch unmöglich war!

«Hämmer öppis glernt, hä», meint eine Besucherin beim Verlassen des Saals, «Enzyklopädisch», nickt ihre Begleitung. Ich nicke mit.

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